
2. Gesundheitsbericht zur (zahn-)medizinischen Versorgung obdachloser Menschen in Berlin erschienen

Mindestens 55.000 wohnungslose Menschen leben in der Hauptstadt, davon mehr als 6.000 auf der Straße. Insbesondere letztere werden mehrheitlich nicht durch die Regelangebote der medizinischen Versorgung erfasst. Die medizinische und zahnmedizinische Versorgung obdachloser und/oder nicht krankenversicherter Menschen kann derzeit nur durch ehrenamtliches und professionelles Engagement überhaupt aufrechterhalten werden.
Runder Tisch stellt zweiten Gesundheitsbericht vor
In seinem nun vorgelegten zweiten Gesundheitsbericht stellt der Runde Tisch zur medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung obdachloser Menschen in Berlin klar: Eine Neustrukturierung und verlässliche Finanzierung der Hilfeangebote sind unerlässlich, um das Menschenrecht auf eine gute medizinische Versorgung für diese Personengruppe umzusetzen.
Versorgung über ambulante Gesundheitszentren
Berlins Gesundheitssenatorin Dr. Ina Czyborra unterstrich auf der gestrigen Pressekonferenz des Runden Tisches die Bedeutung des Gesundheitsberichtes und stellte ein Konzept der Landesgesundheitskonferenz vor: „Mein Dank gilt dem Runden Tisch, der nun seinen 2. Gesundheitsbericht vorgelegt hat. Die Verbesserung der medizinischen Versorgung wohnungsloser Menschen ist mir ein wichtiges Anliegen. Deshalb freut es mich, dass Berlin als erstes Bundesland Gesundheitsziele für Menschen ohne eigenen Wohnraum im Rahmen der Landesgesundheitskonferenz verabschiedet hat. Das Konzept zur niedrigschwelligen Versorgung wohnungsloser Menschen sieht u.a. vor, dass für Menschen ohne eigenen Wohnraum und ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz Gesundheitszentren etabliert werden. Damit wollen wir eine Brückenfunktion in das Regelsystem schaffen und auch bestehende Strukturen entlasten, die sich bisher um die medizinische Versorgung obdachloser Menschen kümmern. Angeboten werden soll eine Basisversorgung, von allgemeinmedizinischen und gynäkologischen Angeboten, über die Zahnmedizin bis zur psychologischen Beratung. Für Personen ohne Krankenversicherung hat das Land Berlin bereits eine Clearingstelle geschaffen, die den Zugang zum regulären Gesundheitssystem erleichtert. Das nun beschlossene Konzept knüpft daran an und soll bestehende Lücken schließen.“
Menschenrecht auf eine gute medizinische Versorgung
„Vielen Menschen in Deutschland ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung verwehrt. Nur durch ehrenamtliches Engagement und durch nicht ausreichend finanzierte Projekte kann die medizinisch notwendige Versorgung von obdachlosen Menschen und Menschen ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz überhaupt aufrechterhalten werden. Diese Situation ist nicht hinnehmbar. Wir benötigen eine sichere und dauerhafte Finanzierung der Projekte“, so PD Dr. med. Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin.
Wachsender Bedarf an medizinischer Hilfe
„Allein 2023 wurden fast 10.000 Personen in den medizinischen Praxen für wohnungslose und/oder nichtkrankenversicherte Menschen behandelt. 33.108 Behandlungen wurden durchgeführt. Das entspricht einem Anstieg von über 11 Prozent gegenüber 2022. Davon wiesen gerade einmal 12 Prozent aller Patient*innen einen gesicherten Krankenversicherungsstatus auf“, fasst Kai-Gerrit Venske vom Runden Tisch die Ergebnisse des Gesundheitsberichts zusammen. „Zurzeit wird nur ein Teil der medizinischen Hilfeprojekte vom Senat gefördert. Viele der Einrichtungen kämpfen selbst ums Überleben“, führt Christin Recknagel, Einrichtungsleiterin der Praxis am Stralauer Platz der GEBEWO pro, aus.
Berliner Krankenhäuser bleiben auf den Behandlungskosten sitzen
Auch die Berliner Krankenhäuser versorgen Jahr für Jahr eine Vielzahl an unversicherten Patient*innen. In fast allen Fällen werden die Kosten für deren Behandlung nicht ausreichend vergütet. Die für Eilfälle vorgesehen Ansprüche der Krankenhäuser an die Sozialämter aus der Nothelferregelung des SGB XII lassen sich in der Regel nicht durchsetzen. Die Ausfälle für die Behandlung nicht krankenversicherter, mittelloser Patient*innen belaufen sich auf mindestens 10 Millionen Euro pro Jahr. „Die Geltendmachung der Krankenhauskosten für die Behandlung obdachloser und/oder nicht krankenversicherter Patientinnen und Patienten scheitert regelmäßig an der mangelnden Mitwirkung der Berliner Bezirke. Das verursacht für die Krankenhäuser jährlich Ausfälle in zweistelliger Millionenhöhe – ein unhaltbarer Zustand, der dringend beendet werden muss. Die Koalition hat in ihrem Vertrag die Verbesserung der medizinischen Versorgung wohnungsloser Menschen angekündigt. Bisherige Gespräche mit Senat und Bezirken verlaufen allerdings äußerst zäh, während Krankenhäuser tagtäglich gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und Menschen versorgen. Wir haben die Erwartung, dass noch in dieser Legislaturperiode eine Vereinbarung abgeschlossen werden kann“, so Marc Schreiner, Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft e. V.
Neustrukturierung und verlässliche Finanzierung der Hilfeangebote unerlässlich
Den Schlüssel zu einer qualitativ guten medizinischen Versorgung für wohnungslose Menschen sehen die Mitglieder des Runden Tisches in einer Neustrukturierung der Hilfeangebote, wie sie Ende 2024 von der Berliner Landesgesundheitskonferenz verabschiedet wurde. Aufbauend auf einem Konzept des Runden Tisches wurde hier ein Konzept zur niedrigschwelligen ambulanten Gesundheitsversorgung in der Struktur von Gesundheitszentren beschlossen.
Den Gesundheitsbericht finden Sie hier: https://www.obdachlosigkeit-macht-krank.de/
Foto: Catharina Tews